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23.05.2021 – Nachdem Fischer zum WM-Kampf nicht antrat, wurde Anatoly Karpov der 12. Schachweltmeister. Er rechtfertigte seinen kampflosen Titelgewinn in der Folge mit zahllosen Turniersiegen. In epischen Kämpfen gegen Viktor Kortschnoj und Garry Kasparov kämpfte er von 1978 bis 1990 um den WM-Titel. Heute wird Anatoly Karpov 70 Jahre alt. | Foto: V. Savostianov, Novosti Press (via D. Griffin)

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Nachdem Bobby Fischer 1972 den WM-Kampf gegen Boris Spassky gewonnen hatte führte er die Weltrangliste der FIDE mit 2785 an, mit einem Vorsprung von nicht weniger als 125 Punkten vor dem zweitbesten Spieler der Welt, das war Boris Spassky.

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Kein anderer Spieler der Geschichte hatte jemals einen solch großen Leistungsvorsprung gegenüber den anderen Schachspielern, wobei die Anzahl und die Leistungsdichte der Profis damals natürlich weitaus geringer war als in späteren Jahren. Für die Sowjetunion war der Verlust des Weltmeistertitels im Schach ein schwerer Rückschlag. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges hatten die Sowjets das internationale Schach dominiert und die Weltmeister gestellt. Wer würde dem übermächtigen US-Großmeister gefährlich werden können?Anatoly Karpov war früh auserkoren, den Weltmeistertitel wieder zurück in die UdSSR zu bringen. So kam es.

Karpov, am 23. Mai 1951 in Slatoust geboren, war als Kind mit einemAtemwegsinfektschwer erkrankt und danach auch noch im Erwachsenalter anfällig für Krankheitserreger. So wirkte er in seiner Konstitution schwächer, als er in Wirklichkeit war. Mit vier Jahren hatte Karpov Schach gelernt, schlug dann bald alle seine Schachfreunde und war mit 11 Jahren schon Kandidat Meister. Er wurde als Zwölfjähriger in die Botvinnik-Schachschule nach Moskau eingeladen, doch der Patriarch war wenig beeindruckt und wollte dem Jungen eine Karriere als Schachspieler ausdrücklich nicht empfehlen: "Der Junge hat keine Ahnung vom Schach und deshalbgibt es für ihn keine Zukunft als Schachspieler."Karpov und seine Betreuer schlugen den Rat aber zum Glück in den Wind.

Als Fünfzehnjähriger wurde Karpov bereits auf internationale Turniere ins Ausland geschickt, gewann sein erstes internationales Turnier 1966 in Trinec und 1967/68auch das prestigeträchtige Niemeyer-Jugendurnier in Groningenvor Spielern wie Jan Timman und Andras Adorjan.

1969 wurde KarpovSemjon Furman zur Seite gestellt, der vielleicht profilierteste Trainer der UdSSR zu jener Zeit. Furman prägte das Spiel des jungen Karpov in erheblichemMaße. 1969 gewann Karpov die Jugendweltmeisterschaft.

1970 ernannte die FIDE Karpov zum Großmeister, womit er zu dieser Zeit der jüngste Großmeister der Welt war.

Bei Spasskys Niederlage gegen Fischer war Karpov 21 Jahre alt, aber mit einer Elozahl von 2630 im Juli 1972 schon auf Platz sieben der Weltrangliste geführt. Ein Jahr später hatte er 30 weitere Punkte hinzugewonnen und teilte sich mit Tal den zweiten Platz hinter Fischer.

Wie bekannt, zog sich Fischer nach dem Gewinn des Weltmeistertitel vom Schach zurück. Er spielte bis zu seiner überraschenden Rückkehr im Jahr 1992 keine einzige Turnierpartie. Hinter den Kulissen verhandelte Fischer aber in den Jahren nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft noch mit der FIDE über die Konditionen seiner Titelverteidigung, die turnusmäßig 1975 stattfinden sollte.

Karpov gewann 1973 zusammen mit Viktor Kortschnoj das Interzonenturnier in Leningrad und qualifizierte sich damit für die Kandidatenkämpfe.Aus demKandidatenfinale 1974 gegen Kortschnoj ging Karpov als Sieger hervor und stand damit als Fischers Herausforderer fest.

Doch zu einem WM-Kampf mit dem US-Amerikaner kam es nicht. Fischer beharrte in seinen Verhandlungen mit der FIDE auf seinen Forderungen mitSonderrechten und trat zum Beginn des Wettkampfes 1975 nicht an. Es hatte auch Geheimverhandlungen von Karpov mit Fischer gegeben, denn Karpov hätte den Wettkampf gerne gespielt. Doch die Verhandlungen fanden nicht die Unterstützung der Offiziellen in der UdSSR und Karpov wurde wegen eines Treffens mit Fischer sogar gerügt.

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Karpov 1976 | Dutch National Archive

Karpov kam auf diese Weisekampflos zu seinem WM-Titel und legitimierte diesen in den folgenden Jahren durch unzählige Turnierteilnahmen, die er oft als Sieger abschloss. Die Jahre von 1978 bis 1990 sind aber auch von den intensiven Kämpfen um die Weltmeisterschaft gegen Viktor Kortschnoj und Garry Kasparov geprägt. Kortschnoj hatte 1976 die UdSSR verlassen, war nun ein vom Ostblock geächteter Dissident, qualifizierte sich aber als Herausforderer. Die WM-Kämpfe 1978 und noch einmal 1981 zwischen Karpov und Kortschnoj waren von vielen politischen Nebentönen begleitet. In der Berichterstattung der Medien im Westen wurde Karpov oft als Antiheld undals profilloser linientreuer Sowjetmenschdargestellt, was seiner Rolle und seinen Leistungen jedoch nicht gerecht wird.

Von 1974 bis 1984war Victor Baturinsky stets der Delegationsleiter des Karpov-Teams bei Turnieren und Wettkämpfen. Baturinsky war der stellvertretendeLeiter des sowjetischen Verbandes und setzt die Interessen von Karpov und des sowjetischen Verbandes oft auf ruppige Weisedurch. Sein Verhalten warf auch ein negatives Licht auf Karpov. Auch Kasparov verstand es später, die Westpresse auf seine Seite zu ziehen, indem er sich in Büchern und Interviews als Vertreter einer neuen Glasnost-Generation von Sowjetspielern darstellte, während er Karpov der Intrigen bezichtigte.

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Kortschnoj-Karpov 1978

1974 hatte Karpov als zweiter Spieler nach Fischer erstmals die 2700-Elomarke überschritten. 1976 übernahm er schließlich die Führung in der Eloliste, nachdem Fischer nun wegen Inaktivität gestrichen worden war. Im Januar 1980 hatte Karpov seinen ersten Peak mit 2725 Elo. In dieser Zeit schwankte seine Elozahl um den Wert von 2700 mit einigen Auf und Abs. Anders als vor ihm Fischer und nach ihm Kasparov kam es dem pragmatischen Karpov nicht unbedingt darauf an, jede Partie zu gewinnen und er begnügte sich vielleicht häufiger mit der Punkteteilung als es nötig gewesen wäre. Außerdem gab es niemanden, der ihm gefährlich werden konnte.

1980 tauchte Kasparov schon als 15ter der Weltrangliste auf. Und im Juli 1982 warKasparov bereits Weltranglistenzweite (2675) hinter Karpov (2700). Im Januar 1984 löste Kasparov Karpov dann erstmals als Weltranglistenersten ab und macht ihm den Rang als weltbesten Schachspieler streitig.

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Kasparov vs. Karpov 1985

In den Jahren von 1984 bis 1990 kam es zu insgesamt fünf Wettkämpfen um die Weltmeisterschaft zwischen Karpov und Kasparov.Der erste WM-Kampf 1984/85 wurde nach 48 Partien beim Stand von 5:3 für Karpov abgebrochen, als es so schien, als könne keiner der beiden Spieler die geforderten sechs Gewinnpartien erreichen. Kasparov gewann den Wiederholungswettkampf 1985, verteidigte knapp seinen Titel im Revanche-Wettkampf 1986 und gewann auch die WM-Kämpfe 1987 und 1990, bei denen sich jeweils Karpov als Herausforderer qualifiziert hatte. Im Zuge dieser Wettkämpfe ist Karpov auch der Spieler, der Kasparov die meisten Niederlagen beigebracht hat. Eine Auswahl:

Mit Kasparov verbesserte sich auch Karpov, der nun einen ernsthaften Kontrahenten hatte.Im Juli 1989 standKarpov in der Weltrangliste als Zweiter mit Elo 2755 zu Buche. Zum Dritten der Weltrangliste Nigel Short klaffte eine Lücke von 115 Punkten.

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Kasparov und Karpov mit Timman in Amsterdam, Dutch National Archiv

Karpov und Kasparov verband eine innige Rivalität. Auf der anderen Seite waren die beiden aber auch die einzigen, die auf höchstem Niveau miteinander über Schach reden konnten. Als Karpov 2010 für das Amt des FIDE-Präsidenten kandidierte, wurde er dabei von Kasparov unterstützt.

Nachdem Kasparov und Short 1993 mit ihrem außerhalb der FIDE ausgetragenen WM-Kampf die Schachwelt gespaltenhatte, wurde Karpov erneut Weltmeister, zum "FIDE-Weltmeister". Karpov gewann 1993 den von der FIDE organisierten Ersatz-Wettkampf gegen Timman und im Juli 1994 war er mit seiner Zahl von 2780 sogar wieder die Nummer Eins der FIDE-Eloliste, weil die FIDE Kasparov im Streit aus der Liste gestrichen hatte. Mit dieserZahl wäre Karpov auch heute noch, trotz Elo-Inflation,immerhin noch Nummer Sechs der Welt. 1996 verteidigte Karpov seinen Weltmeistertitel im Wettkampf gegen Gata Kamsky.

Im Durcheinander jener Jahre wechselte die FIDE den Modus der Weltmeisterschaften und richtete diese von 1993 bis 2004 als K.o.-Turnier aus. Karpov verteidigte 1997/98 seinen Titel in einem kurzen Match gegen Viswanathan Anand, der das erste K.o.-Turnier der FIDE in Groningen gewonnen hatte.

1976, 1983 und 1988 (zusammen mit Kasparov) gewann Karpov die UdSSR-Landesmeisterschaft. Zwischen 1972 und 1988 nahm er sechsmal im Team der UdSSR an Schacholympiaden teil, ab 1974 am ersten Brett, und gewann sechsmal Mannschaftsgold.

Bis 1999 gehörte Karpov noch zu den Top Ten der Welt. In den nächsten Jahren rutschte er dann von Jahr zu Jahr immer weiter ab. Im Oktober 2000 war er unter Elo 2700 gefallen. Karpov hatte nie offiziell seinen Rücktritt vom Turnierschach erklärt, nahm aber immer seltener an Turnieren teil.2003 spielte er noch mit mäßigem Erfolg die Turniere in Wijk aan Zee und Hoogeveen mit.Danach spielte er noch Zweikämpfe, Blitz- undSchnellschachturniere. In der Bundesliga hatte er noch einige Gastauftritte am ersten Brett des SV Hockenheim, mit dem er freundschaftlich verbunden ist.2017 spielte Karpov auch noch die Russischen Mannschaftsmeisterschaften mit.

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Karpovs pflegt einen sehr positionellen Stil, bei dem er seine Gegner langsam und kontinuierlich überspielt. Vielen Spielern war Karpovs Stil rätselhaft, denn sie verloren ihre Partien gegen Karpov, ohne einen groben Fehler gemacht zu haben. In Zeiten ohne Pandemie waren zwei Turniere nach Karpov benannt, in Poikovsky und ein Schnellschachturnier in Cap d'Agde.

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Treffen mit Frank Sinatra

2011 wurde Anatoly Karpov als Mitglied der Partei "Einiges Russland" in die Duma gewählt. Er ist zum zweiten Mal verheiratet und hat aus erster Ehe einen Sohn und aus zweiter Ehe eine Tochter. Eines seiner Hobbys ist die Philatelie. Karpov besitzt die weltweit größte Briefmarkensammlung mit Schachmotiven. In seiner "ewigen Weltrangliste", die allerdings nur bis 2005 reicht, führtder Statistiker JeffSonas Anatoly Karpov als siebtbesten Spieler der Schachgeschichte.

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André SchulzAndré Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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